Als die Pandemie die USA erreichte, wurden die Obdachlosen vom zuständigen County in ein Hotel direkt am Strand versetzt, das sollte eine Massenansteckung verhindern. Dort traf Softky auf Mitarbeiter:innen der San Francisco NGO
Miracle Messages, die via Crowdfunding die Projekte „Miracle Friends“ und „Miracle Money“ ins Leben gerufen hat. Von Spenden finanziert bringt die NGO Obdachlose zunächst mit Freiwilligen zusammen, die sie anrufen können, wenn sie einsam sind oder Hilfe brauchen. Nach zwei Monaten wurde Softky von ihrer Miracle Friend Susan für das Grundeinkommen-Programm Miracle Money nominiert: Ein Jahr lang erhielt sie daraufhin jeden Monat 500 Dollar. Durch das Geld konnte Softky ihre Arztrechnungen wieder bezahlen und machte mithilfe der Organisation einen Finanzplan für ihre Zukunft. Mittlerweile wohnt sie in einem sozialen Wohnungsprojekt in Redwood City, ebenfalls in der Bay Area. Sie ist eine Botschafterin des Projektes, spricht in Schulen über ihre Erfahrungen und hält Vorträge.
Dass Softkys Geschichte fast etwas zu perfekt klingt, liegt wohl daran, wie sehr die NGO ihr und anderen obdachlosen Menschen aktiv geholfen hat, statt wie in anderen Grundeinkommensversuchen aus der Distanz zu beobachten, was die Empfänger:innen mit dem Geld anfangen. Alkohol, Waffen oder Drogen zum Beispiel durften sie nicht mit dem Grundeinkommen kaufen.
Somit konnte das Programm nach seiner ersten Phase keine aufschlussreichen wissenschaftlichen Daten liefern, was die Grundeinkommenforschung angeht. Nun geht der Versuch jedoch in die zweite Runde: Diesmal sollen Obdachlose 18 Monate lang 750 Dollar monatlich bekommen, die University of Southern California begleitet das wissenschaftlich, es wird außerdem auf die Stadt Los Angeles erweitert. All diese Programme verfolgen dasselbe Ziel: Durch die Sammlung von aussagekräftigen Daten und Storytelling wollen sie Amerika beweisen: Armut ist oft unverschuldet. Sie betrifft überproportional People of Color. Aufstieg ohne eine finanzielle Grundversorgung ist praktisch unmöglich. Kurz: Es geht um die Dekonstruktion des amerikanischen Traums.
„Unser Mythos des Selfmade-Man, der sein eigenes Glück schafft, beeinflusst unsere Gesellschaft immer noch mehr als alles andere. Aber um Arnold Schwarzenegger zu zitieren: Niemand ist ein Selfmade Man“, sagt Miracle-Messages-Gründer Kevin Adler an einem Nachmittag in den Headquarters der NGO in Downtown San Francisco. „Jeder, der Erfolg hat, hatte Hilfe.“ Sein Onkel hat Adler zur Gründung der Organisation inspiriert. Immer wieder landete der aufgrund psychischer Probleme auf der Straße. Das Beispiel der eigenen Familie zeigte ihm, wie ignorant und ungnädig in den USAmit Menschen umgegangen wird, die aus der Mittelschicht herausfallen. „Wir müssen endlich das entsetzliche Stigma beenden, das arme Menschen in Amerika umgibt“, sagt Adler.
15 Millionen vom Twitter-GründerSponsor der zweiten Runde von Miracle Money ist zu einhundert Prozent: Google. Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass die meisten Versuche zum Grundeinkommen in Kalifornien vom Silicon Valley finanziert werden. So entschied sich das Yerba Buena Center for the Arts in der zweiten Phase seines Grundeinkommensversuchs für Kunstschaffende für eine Finanzierung durch die Start Small Foundation des Twitter-Gründers Jack Dorsey. Dorsey spendete 15 Millionen Dollar an Mayors for a Guaranteed Income. Dieses Geld teilen sich nun 30 Städte auf, jedes Projekt erhält 500.000 Dollar. Auch das erste Grundeinkommensprojekt in Stockton finanzierte sich zu einem großem Teil aus Geldern des sogenannten Economic Security Project, das von Co-Facebook-Gründer Chris Hughes ins Leben gerufen wurde. Ein anderer Grundeinkommensversuch in Oakland bei San Francisco wurde von Y Combinator finanziert, vielleicht der wichtigste Start-up-Geldgeber überhaupt im Silicon Valley.
Dabei sind es gerade diese Firmen, die für die horrenden Mieten und die Gentrifizierung in der Bay Area zu einem guten Teil verantwortlich sind.
Aisa Villarosa vom Grundeinkommensprojekt in San Francisco leugnet das nicht. „Ja, es ist wie eine Reparationsleistung von der Tech-Elite. Und doch haben wir uns aus guten Gründen für diese private Finanzierung entschieden.“ Zum Beispiel: Wird ein solches Experiment aus Steuergeldern finanziert, dann ist es gesetzlich verboten, die Empfänger:innen nach Kriterien von Race oder Gender auszusuchen, um Diskriminierung vorzubeugen. „Wir leben aber in einem Land, in dem es einen stark ausgeprägten, systematischen Rassismus gibt“, sagt Villarosa. „Deshalb fördern wir vor allem Menschen, die nicht weiß sind.“
Der US-amerikanische Digitalisierungs-Forscher Jathan Sadowski sieht es kritisch, dass ausgerechnet die Tech-Imperien in so großem Stil in die Utopie Grundeinkommen investieren. In einem Essay, der unter anderem im Guardian erschienen ist, schreibt er: „Anstatt dass Projekte umgesetzt werden, die zum Gemeinwohl der Menschen beitragen, können die Eliten des Silicon Valley Kritiker:innen abschütteln, indem sie auf das bedingungslose Grundeinkommen als die Lösung hinweisen.“
„Welfare for Capitalists“ nennt Sadowski das, eine Art Wiedergutmachung dafür, dass Angestellte der Tech-Empires, wie zum Beispiel Uber- oder Amazon-Driver, für unerträglich niedrige Löhne durchs Land fahren müssen und die Firmen die Gründung von Gewerkschaften unterdrücken.
Eine kapitalistische LösungAuch manche, die selbst von den Spenden der Tech-Riesen profitieren, sehen die Utopie mit zwiespältigen Gefühlen. Wie die junge Empfängerin des Yerba Buena Grundeinkommens in San Francisco, die anonym bleiben möchte: „Ich bin dankbar für diese Hilfe, ich wüsste nicht, wie ich letztes Jahr ohne das Grundeinkommen überlebt hätte. Aber es bleibt für mich eine kapitalistische Lösung für ein kapitalistisches Problem. Daher bezweifle ich, ob es das System wirklich verändern kann, denn es behandelt ja nicht die Ursachen von Armut.“
Für die Initiator:innen der Experimente sind die Finanzspritzen des Valley ein notwendiger Zwischenschritt, solange sie sich nicht auf Regierungsgelder verlassen können. Derweil träumen sie von einem Grundeinkommen, das in den Kammern der amerikanischen Legislative verabschiedet wird, auch auf nationaler Ebene. „Wir wurden vor dem Kongress bereits zu unserem Projekt befragt“, erzählt Aisa Villarosa. Die Demokratin Nancy Pelosi, die San Francisco im US-amerikanischen Kongress vertritt, lässt die Tragfähigkeit des Grundeinkommens als möglichem Hebel einer neuen amerikanischen Sozialpolitik gerade von einem Ausschuss untersuchen.
In Washington, D.C. soll bereits eine starke Thinktank-Lobby für das Konzept trommeln. Auch global wächst das Interesse. Die Postfächer der Programm-Manager:innen lokaler Grundeinkommens-Initiativen quellen über von Anfragen aus allen Kontinenten. In einem Land wie den USA, in dem es keine Grundkrankenversicherung gibt, schwache Mietrechte, kaum bezahlten Urlaub und nur beschränkte Krankentage, hat das Grundeinkommen einen anderen Impact als in Ländern mit einem starken Sozialstaat wie Deutschland. Dennoch bleibt eine große Skepsis. In einer nationalen Umfrage des Pew Research Center 2020 antwortete eine knappe Mehrheit in den USA, dass sie gegen ein nationales Grundeinkommen sei. Einer der am meisten geäußerten Zweifel: Wie soll man das finanzieren?
Grundeinkommen USA: 876 Milliarden KostenDas Economic Security Project, das den Oakland-Versuch finanzierte, sponserte 2021 die Ausarbeitung eines Papiers, das genau diese Frage untersucht: In „A Guaranteed Income for the 21st Century“ schlagen Ökonom:innen des Institute on Race and Political Economy der New School vor, ein bundesweites garantiertes Grundeinkommen durch eine negative Einkommenssteuer zu finanzieren. Jede erwachsene Person, die weniger als das nationale Durchschnittseinkommen von ungefähr 65.000 Dollar verdient, soll abhängig vom Einkommen bis zu 12.500 Dollar Steuern pro Jahr erstattet und in monatlichen Beträgen ausgezahlt bekommen. Um das zu finanzieren, müsste es gleichzeitig eine progressive Einkommenssteuer geben, so wie sie in den USA bis in die 1980er-Jahre hinein existierte. Alles in allem würde das Programm schätzungsweise 876 Milliarden Dollar kosten. Im Vergleich: Seit Beginn der Coronakrise hat die US-amerikanische Regierung in drei Runden sogenannte Stimulus Schecks in Höhe von fast 850 Milliarden Dollar an die Bevölkerung ausgezahlt, um die Menschen in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Inflation zu unterstützen. Dazu kommt der sogenannte Child Tax Credit von 3.000 bis 3.500 Dollar, den alle Eltern von Kindern bis 16 Jahren in den USA seit 2021 erhalten – viele im Land nehmen das als ein Grundeinkommen wahr.
Doch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Harris Poll Anfang des Jahres zeigt, dass 60 Prozent der befragten Bürger:innen das Programm für zu teuer und unnötig halten. Ein Autor der New York Times erklärte das Ergebnis mit der Beobachtung: „Die Kritik an bedingungslosen Leistungen stigmatisiert oft ärmere Amerikaner:innen und Alleinerziehende oder ist von rassistischen Narrativen beeinflusst, wie dem Stereotyp der ,Welfare Queen‘.“ Selbst Empfänger:innen des Geldes äußerten in einer Studie den Verdacht, dass Familien das Geld nutzen könnten, um sich zu bereichern. Andere Kritiker:innen fanden es wiederum ungerecht, dass nur Eltern Anrecht auf diese Unterstützung hatten, es also nicht universell genug sei.
„Es wird immer darüber gesprochen, wie teuer das Grundeinkommen wäre“, sagt Aisa Villarosa. „Wenn wir aber zulassen, dass Menschen psychisch und physisch krank werden, dass sie süchtig werden oder auf der Straße landen, kostet das letztendlich viel mehr Geld. Wir sollten öffentliche Gelder endlich nutzen, um diese Dinge zu verhindern.“
Für Professor Darrick Hamilton von der New School, New York City, der einer der Autoren des Papers über die Finanzierung eines Grundeinkommens ist, ist das Basic Income ein wichtiger Eckpfeiler für die Bekämpfung von Armut, reicht aber nicht allein aus. „Wir brauchen in den USA wirtschaftliche Grundrechte. Das Recht auf Wohnen und das Recht auf Bildung und Gesundheit. Einkommen ist außerdem nicht dasselbe wie Wohlstand. Für Wohlstand braucht ein Mensch auch ein gewisses Grundkapital.“ Aus diesem Grund unterstützt Hamilton unter anderem auch das Konzept der sogennanten Baby Bonds, bei denen für neugeborene Kinder vom Staat oder Bundestaat Geld angelegt wird, auf das sie mit Erreichen des Erwachsenenalters Zugriff haben, um es zum Beispiel in ihre Bildung zu investieren.
Davon erhofft sich Hamilton inbesondere auch mehr Chancengleichheit für nicht weiße Menschen. „Wir haben in den USA historisch viele Beispiele für eine Politik, in der der Staat Menschen direkte Ressourcen gibt, um wirtschaftlichen Wohlstand für sich selbst und die Gemeinschaft zu schaffen. Der New Deal ist eines davon. Wir haben bei solchen Maßnahmen jedoch immer Schwarze Menschen ausgeschlossen. Deshalb müssen die wirtschaftlichen Reformen und Rechte, die ich mir wünsche, inklusiv sein, und benachteiligte Gruppen miteinschließen.“